Streetfotografie lebt von ihrer Authentizität – dem direkten, spontanen Blick auf das Leben, wie es wirklich ist. Für viele Fotograf:innen ist diese Unverfälschtheit das Herzstück ihres Schaffens. Zugleich sehen wir uns 2025 mit einem technologischen Wandel konfrontiert, der Fragen aufwirft: Können neue Werkzeuge wie KI und die neuesten Smart(phone)-Kameras die kreative Freiheit fördern, ohne die traditionelle Streetfotografie zu verfremden?
Die Herausforderung der Authentizität
Der Anspruch der Streetfotografie war immer klar: Der Moment zählt. Ein Augenblick, eine Geste, ein Ausdruck – eingefangen, ohne inszeniert zu sein. Gerade hier stößt KI bei vielen auf Skepsis. Kann etwas, das von Algorithmen unterstützt wird, noch “echt” sein?
Ein häufiger Vorwurf: KI inszeniert – das eigentliche “ungefilterte” Leben geht verloren. Viele Menschen assoziieren den Begriff „KI“ in erster Linie mit KI-generierten Bildern, wie sie von Diensten wie MidJourney oder DALL-E erstellt werden. Solche Werke rufen häufig Ablehnung hervor, da sie als reine Kunstprodukte ohne echten dokumentarischen Wert wahrgenommen werden. Diese Verknüpfung von KI und „künstlicher Realität“ führt schnell zu der Sorge, dass echte Streetphotography nichtmehr erkannt wird. Dass so der unverstellte Charakter der Straßenfotografie verloren geht.

Hier ist es wichtig, früh Missverständnisse auszuräumen: KI-Generierte Bilder haben, in meinen Augen, garnicht das Recht sich „Streetphotography“ zu nennen. Streetfotografie bleibt fest verankert im Authentischen, selbst wenn KI-Tools zum Einsatz kommen, um Fotograf:innen beispielsweise technische Erleichterungen zu bieten, ohne die Integrität ihrer Arbeit zu beeinträchtigen.
KI als unterstützendes Werkzeug, nicht als Ersatz
Trotz dieser Bedenken gibt es viele Möglichkeiten, wie KI sinnvoll eingesetzt werden kann, ohne den Kern der Streetfotografie zu verraten. Drei konkrete Beispiele zeigen, wie KI den gesamten Workflow unterstützen kann:
1.) Planung und Lernprozess:
Bevor es überhaupt auf die Straße geht, können KI-Tools dabei helfen, den idealen Zeitpunkt und Ort für Streetfotografie zu bestimmen. Mithilfe von historischen Daten aus sozialen Netzwerken könnte KI erkennen, wann in einer bestimmten Straße oder an einem bestimmten Ort besonders lebhafte und interessante Szenen entstehen. Beispielsweise könnte eine KI analysieren, an welchen Tagen und zu welchen Uhrzeiten eine beliebte Marktstraße am lebendigsten ist, oder herausfinden, wann und wo sich oft spannende Straßenkünstler:innen oder öffentliche Veranstaltungen befinden. Auf diese Weise wissen Fotograf:innen genau, wann sie sich an einem bestimmten Ort aufhalten sollten, um ihre Chancen auf einzigartige, authentische Szenen zu erhöhen.
2.) Echtzeit-Unterstützung bei der Aufnahme:
Moderne Smartphones und Kameras mit KI-gestützten Funktionen können in Echtzeit Vorschläge zur Bildkomposition liefern. Diese Hinweise sorgen nicht nur für ansprechende Bildaufteilungen, sondern helfen auch dabei, schnell auf unerwartete Motive zu reagieren. So bleibt der spontane Charakter der Streetfotografie erhalten, während die Technik den Fotograf:innen den Rücken stärkt.
3.) Nachbearbeitung und Qualitätssicherung:
Nach der Aufnahme kann KI in der Postproduktion den kreativen Prozess effizienter gestalten. Sie reduziert Bildrauschen, optimiert Farben und betont Kontraste, ohne den ursprünglichen Moment zu verfremden. Maskierungen sind mit KI-Unterstützung so einfach wie nie.

Ein weiterer großer Vorteil ist die Fähigkeit von KI, Dubletten zu erkennen und automatisch die beste Aufnahme aus einer Serie vorzuschlagen. Darüber hinaus können Bilder automatisch verschlagwortet werden, was die Organisation und das spätere Wiederfinden von Aufnahmen erheblich erleichtert. Gerade dieser letzte Arbeitsschritt wird von vielen Streetfotograf:innen oft als zeitraubend empfunden. KI kann hier helfen, den gesamten Workflow deutlich angenehmer zu gestalten und somit mehr Zeit für die kreative Arbeit zu schaffen.
Ethische Überlegungen: Technologie bewusst und Tansparent einsetzen
Die Frage, wie viel Technologie zu viel ist, bleibt zentral. Es gilt, den Einsatz von KI bewusst zu dosieren. Es geht nicht darum, KI oder Smartphones komplett aus dem kreativen Prozess zu verbannen, sondern darum, eine Balance zu finden: Wann hilft KI wirklich, und wann entfernt sie uns vom ursprünglichen Ethos der Streetfotografie?
Eine wichtige Rolle spielt hier die Content Authenticity Initiative (CAI). Dieser Zusammenschluss setzt sich dafür ein, die Herkunft und Bearbeitungsschritte von Bildern transparent zu machen. Fotograf:innen können über CAI-Standards offenlegen, ob und wie KI zum Einsatz kam, was die Integrität ihrer Arbeit unterstreicht. Solche Metadaten werden bereits auf Plattformen wie LinkedIn sichtbar, und auch auf Websites, journalistischen Plattformen und sozialen Netzwerken wird die Technik zunehmend genutzt. Dies sorgt nicht nur für Vertrauen in die Authentizität der Inhalte, sondern könnte auch die Nachfrage nach ungestellten, dokumentarischen Bildern in der Reportagefotografie und sogar in der Werbung verstärken – und das trotz oder vielleicht sogar gerade wegen der immer präsenter werdenden KI.
Das Spannungsfeld zwischen Technologieeinsatz und künstlerischer Authentizität bleibt bestehen. Doch durch bewussten, transparenten Umgang mit KI und die Nutzung von Initiativen wie der CAI können Fotograf:innen die Werte der Streetfotografie bewahren und gleichzeitig von neuen Möglichkeiten profitieren. Verantwortung und Offenheit schaffen so eine Grundlage für eine ethisch vertretbare Verbindung von Tradition und Innovation.